„Ich habe es verschlungen.“ Claus Fleischers Augen leuchten, wenn er sich an das Geschenk seines Onkels erinnert – ein Buch mit dem Titel „Der schnelllaufende Zweitaktmotor“. Als er, 14 Jahre alt, mit seinen Freunden Anfang der 80er Jahre anfängt, Mofas zu schrauben und sie mit ihren knatternden Untersätzen durch die Straßen von Bad Kreuznach blasen, finden sie sich allesamt ziemlich cool. „Mir war schon damals klar, dass ich Ingenieur werden will“, sagt Claus im Rückblick auf diese Zeit. Und dieser Wunsch, den er in aller Konsequenz verfolgt, hat ihn letztlich zu einer außergewöhnlichen Karriere bei Bosch geführt. Heute ist Claus Fleischer immer noch dort – nach knapp zweieinhalb benzingetränkten Jahrzehnten verantwortet er aber mittlerweile die E-Bike-Sparte des Konzerns– als CEO von Bosch eBike Systems. 

Claus Fleischer, CEO von Bosch E-Bike Systems
Jens Vögele | 360°-Kommunikation

Das Hobby zum Beruf gemacht

„Ich habe mittlerweile mein Hobby zum Beruf und meinen Beruf zum Hobby gemacht“, beschreibt Claus Fleischer seine Situation heute. Das Fundament dafür legt er ­– mal abgesehen von dem jugendlichen Zweitakter-Intermezzo – schon früh. Im Alter von 12 Jahren steht er zusammen mit seinem Vater auf der 3768 Meter hohen Wildspitze im Ötztal. „Wir haben uns damals Steigeisen, Pickel und Seil ausgeliehen und sind losmarschiert“, sagt er: „das war für mich ein Schlüsselerlebnis.“ Die Liebe zu den Bergen, die er für sich entdeckt, hält bis heute an – auch deshalb, weil sich Claus nach dem Abi vom Mountainbike-Fieber anstecken lässt: Er legt sich ein rotes Diamond Back Epic zu und fängt an, regelmäßig die Gardasee-Trails zu erkunden. „Der Moser Bike Guide war unsere Bibel“, blickt er zurück.

Claus Fleischer, CEO von Bosch E-Bike Systems
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Claus Fleischers frühe Liebe zu Bergen und Bikes

Während er einerseits in fast jeder freien Minute auf dem Mountainbike sitzt, Touren plant, die ersten Alpenüberquerungen meistert und Hobby-Marathonrennen fährt, kümmert er sich andererseits um seine berufliche Laufbahn. Maschinenbaustudium in Kaiserslautern, danach eine kurze Phase der Selbständigkeit mit einem Ingenieurbüro und schließlich der Einstieg bei Bosch in Bühl am Rande des Schwarzwalds. „Ich habe sehr früh für mich erkannt, dass ich mich auf die Dinge konzentrieren kann, die ich wirklich will“, skizziert Claus Fleischer den Grund, weshalb er bei Bosch schnell Fuß fassen kann. Zunächst ab 1995 bei der Entwicklung und Konstruktion von Scheibenwischeranlagen in Bühl, bevor 2007 sein großer Traum in Erfüllung geht: Claus Fleischer zieht in die USA, um in Detroit für Bosch Entwicklungsleiter für Bremssysteme zu werden ­– mit 250 Mitarbeitern. „In all den Jahren habe ich sehr viel über Systemintegration gelernt“, sagt er und beschreibt die Zeit in den USA als „Riesenschritt“ in seinem Leben.

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Claus Fleischer: Roadtrip nach Seaotter

Nicht nur, weil er sein privates Umfeld zurücklassen muss, auch seinen Mountainbike-Freundeskreis im Schwarzwald. Seine Fahrräder allerdings nimmt er mit über den großen Teich. Als ihn ein Roadtrip über die Rockies, Moab und das Death Valley zum Laguna Seca Race Track führt, hat er nicht die leiseste Ahnung, dass er fünf Jahre später dorthin zurückkehren würde: mit einem Bosch-eBike-Stand beim legendären Seaotter-Festival. „Ich fand den Lifestyle extrem cool“, beschreibt er rückblickend seine Zeit in den USA.

Doch als sein Visum ausläuft und Franz Fehrenbach, damals CEO der Bosch-Gruppe, einen persönlichen Assistenten sucht, zieht es ihn zurück nach Deutschland. Er kommt fortan in Kontakt mit Entscheidungsträgern auf allerhöchster politischer und wirtschaftlicher Ebene, bereitet Fehrenbachs öffentliche Auftritte vor und blickt hinter die Kulissen der Normen- und Gesetzgebung in Berlin und Brüssel. Etwas augenzwinkernd bezeichnet er diese Zeit als „Praktikum auf höchstem Niveau“, von dem er heute noch in vielen Bereichen profitiere – insbesondere vom Bewusstsein, wie wichtig die Wirkung guter Öffentlichkeitsarbeit sei. 

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E-Bike-Branche: Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Dass genau in der Zeit in der Konzernzentrale entschieden wird, in das E-Bike-Geschäft zu investieren, erweist sich als einer der Zufälle, die für seinen weiteren Weg entscheidend sein sollten. „Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, sagt er, als er Franz Fehrenbach nicht ganz uneigennützig vorschlägt, sich auf der Eurobike mal genauer anzuschauen, was das junge konzerneigene Start-up auf der Messe alles vorstellt. Ein Jahr später bewirbt sich Claus Fleischer erfolgreich als CEO unter der Marke Bosch eBike Systems. Aber er weiß auch, dass er mit dem Wechsel in den Fahrradbereich ein hohes Risiko eingegangen ist: „Im Automotive-Segment hätte ich auch weiterkommen können“, sagt er. Das Thema E-Bike dagegen sei damals von vielen im Konzern nicht wirklich ernstgenommen worden.

Claus Fleischer, CEO von Bosch E-Bike Systems
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Hans Rey anstatt Dieter Zetzsche

Dass er fortan eher Menschen wie Hans Rey anstatt Dieter Zetzsche treffen würde, stört ihn nicht im Geringsten. Im Gegenteil: „Plötzlich traf ich diejenigen aus der Szene, die ich nur aus den Magazinen kannte und die für mich fast wie Helden waren“, sagt Claus. Mit vielen davon pflegt er heute Freundschaften – eine davon besonders intensiv. Als er 2013 zum Biken auf La Palma ist, trifft er auf Stefan Schlie – einen der besten Trialer der Welt – und dessen Neugierde, ein E-Bike auszuprobieren. Zu Hause verabreden sie sich in Stuttgart, ballern dort die Trails nicht nur runter, sondern auch hoch und sitzen, als die Akkus leer sind, anschließend beim Italiener, bestellen sich eine Flasche Chardonnay und fangen an, über „Uphill Flow“ zu philosophieren

Sie erfinden so fast nebenbei den Begriff, der sich zum Marken-Claim der Mountainbike-Antriebe von Bosch entwickeln sollte. „Wenn das nur ein Bruchteil der Mountainbiker so cool findet wie wir“, daran glauben sie fest, „dann kann da was Großes daraus entstehen“. Claus und Stefan sind voller Begeisterung: Bergab keine Einschränkungen zu haben, bergauf dagegen einen Riesenspaß – sie versprechen sich, dieses Gefühl gemeinsam in die Mountainbike-Welt tragen.

Claus Fleischer, CEO von Bosch E-Bike Systems
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Baseball-Cap statt Krawatte

„Dass wir danach so schnell gewachsen sind“, sagt Claus Fleischer, „liegt an zwei Faktoren“. Erstens habe sein Vorgänger schon die Grundsteine dafür gelegt. Und zweitens sei er selbst strategisch von Anfang an der Überzeugung gewesen, dass die Zielgruppe jünger und sportlicher werden müsse: „Das E-Bike war ja damals ein Ü-60-Produkt.“ Anzug und Krawatte, wie in den ersten Bosch-Jahren auf der Eurobike, sind nicht nur deshalb bei Claus und dessen Team schnell branchenüblichen Holzfäller-Hemden, kurzen Hosen und Baseball-Caps gewichen. 

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Der einzige Trend von alt zu jung

„E-Biken ist der einzige Trend, den wir kennen, der von alt zu jung geht“, stellt Claus Fleischer fest. Deshalb ist es ihm so wichtig, mit Emotionen zu arbeiten. Was früher peinlich gewesen sei, habe sich unter Mountainbikern längst zum coolen Lifestyle entwickelt. Und dieses Gefühl, den Flow-Gedanken, gelte es nun in den urbanen Bereich zu übertragen. Deswegen bringt er sich – seit Neuestem auch im Vorstand des Zweirad-Industrie-Verbands – voller Leidenschaft ein, Städte lebenswerter zu machen, indem mehr Menschen aufs Fahrrad steigen. Claus Fleischer spricht dann gerne davon, dass 30 Prozent der Pendler aufs Rad umsteigen würden, wenn sie sich nur sicherer fühlen würden. Und davon, dass E-Bikes dazu führen, Menschen zwei bis drei Mal so oft und zwei bis drei Mal so lang aufs Fahrrad zu bringen. „Die Ausreden“, sagt er, „werden immer weniger – aber das Gefühl beim Radfahren, die Begeisterung und die Freiheit bleiben bestehen.“

Claus Fleischer, CEO von Bosch E-Bike Systems
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Die Visionen und die Weitsicht von Claus Fleischer

Die Fahrradbranche, sagt er, habe mit der E-Bike-Entwicklung schon einen riesigen Beitrag geleistet – jetzt komme es darauf an, dass die Politik den weiteren Weg bereitet. Claus Fleischer beschreibt insbesondere in Deutschland eine gewisse Mutlosigkeit, wenn es darum geht „mit Visionen und Weitsicht“ Konzepte umzusetzen, die die Lebensqualität aller im urbanen Raum verbessern. Aber er ist auch zuversichtlich. Einerseits, weil er mit dem Bosch-Konzern, in dem Mobilität längst nicht mehr nur aus der Autoperspektive gedacht wird, eine gewisse Strahlkraft entwickeln kann. Und andererseits, weil ihm sein Handwerkszeug dabei hilft, Prozesse einzuleiten oder zu begleiten: „Wenn ich fünf Minuten Zeit mit dem Bundesverkehrsminister habe, dann weiß ich genau, welche Themen ich in diesen fünf Minuten bei ihm platzieren muss.“

Claus Fleischer, CEO von Bosch E-Bike Systems
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Claus Fleischer ist intrinsisch motiviert

Dass Claus Fleischers Engagement weit über das hinausgeht, was sein eigentlicher Job von ihm fordert, liegt in seinem Naturell. „Meine intrinsische Motivation führt dazu, dass ich mich für Themen einsetze, die ich für richtig halte.“ Und trotz allen Engagements und trotz aller Verantwortung, schafft er es, seine Stuttgarter Wohnung so oft es geht mit dem VW-Bus zu tauschen. Wenn er damit nach Finale Ligure oder in die Dolomiten fährt, führt er viele „inspirierende Gespräche“ mit seinen bikenden Freunden, testet neue Produkte und gibt sich, wenn immer möglich, dem E-Bike-Flow hin. Den Slogan, der in der Firmenzentrale in Reutlingen in großen Lettern auf die Wände gemalt ist, den trägt er dabei nicht nur im Herzen, sondern auch für alle sichtbar auf den Lippen: „We make cyclists smile.“