Max Hürzeler braucht ein wenig Zeit, um sich im Königsgewand vor der Kamera wohlzufühlen. Aber wirklich nur ein wenig. Als die ersten Radfahrer auf dem Weg zum Tourenstart in der Hotellobby des Playa de Muro an ihm vorbeigehen und ihm freudig huldigen, legt er seine Hemmungen ab. „Kommt alle her, ich brauche ein großes Volk“, ruft Hürzeler ihnen zu. Wobei er das eigentlich längst schon hat.
Im Gegensatz zum Ballermann, wo so mancher Blödelbarde dem selbst ernannten Herrscher Jürgen Drews Konkurrenz machen möchte, gibt es unter Rennradfahrern nicht einmal ansatzweise Diskussionen darüber, wer der wahre König von Mallorca ist: Der, der vor 28 Jahren die ersten Rennrad-Touristen auf die Insel brachte. Der, der diese Idee so konsequent weiterverfolgte, dass Mallorca heute die Trainingsinsel schlechthin für alle Rennradfahrer ist. Und der, der mittlerweile rund 30.000 Radfahrer pro Jahr auf die Insel holt. Er ist König Max, der Erste.
Bicycle Holidays Max Hürzeler ist heute ein Imperium. Sein Imperium. Wer sich durch das Angebot blättert, hat die Auswahl: 20 Hotels auf Mallorca und zwei in Andalusien, insgesamt gibt es um die 5000 Räder zu mieten. Und so ziemlich alle, die bei Hürzeler Urlaub machen, strömen in die Boutiquen der Radstationen, um sich dort mit Fahrradklamotten zu Sonderpreisen einzudecken. Der Tag, an dem alles begann, war der 8. März 1986 – im Hotel Delta, östlich von der Playa de Palma. Die erste Saison dauerte fünf Wochen, Hürzeler hatte 185 Gäste. „Ich habe die ersten Jahre überhaupt nichts verdient“, sagt er rückblickend. Hürzeler, damals noch aktiver Rennfahrer, wollte ein Trainingslager organisieren, bei dem er selbst kostenlos wohnen konnte.
„Wir sind damals gefahren wie die Idioten, das war grausam“, erinnert er sich lachend. „Grausam“, das ist eine seiner Lieblingsvokabeln und Attribut für alles Komische, Skurrile, Bemerkenswerte – und Grausame. Seine grausame Wette aus der Pionierzeit: Hürzeler fährt alles im Wind bis zum Fuß des San Salvador. Danach: Bergrennen hinauf zum Kloster. Wer ihn dort abhängt, kriegt als Belohnung eine Woche Gratis-Urlaub. „Aber das hat natürlich niemand geschaft“, sagt Hürzeler mit seinem typischen Blick: Blitzende Augen, verschmitztes Lachen, und dann fragt er mit einer Mimik voller Selbstzufriedenheit: „Verstehsch?“
Dass er aber mit der Wette noch was ganz anderes im Sinn hatte, ahnte damals wahrscheinlich kaum jemand: „Die Hobbyfahrer haben mich zum Weltmeister gemacht“, sagt Hürzeler stolz. Bis dahin war er ein durchaus respektabler Bahnfahrer, für den ganz großen Wurf hatte es aber noch nicht gereicht. Aber 1987, nach fünf gescheiterten Versuchen, holte er sich in Wien die Krone bei den Stehern und wurde Weltmeister. „Ich habe fünf Mal verloren, weil ich immer grausam viele andere Sachen gemacht habe“, sagt er, der längst äußerst erfolgreich mit Pokalen und Textilien in der Schweiz handelte. Für 1987 aber hat er sich konzentriert, mit einem Naturheiler zusammengearbeitet, konsequent trainiert, auf Mallorca mit den Gästen gewettet – „und dann war ich unschlagbar. Verstehsch?“
„Ich habe fünf Mal verloren, weil ich immer viele andere Sachen gemacht habe. Aber als ich mich konzentriert habe, war ich unschlagbar.“
Bis dahin“, sagt er, „war ich der Hürzeler, der wie ein Wahnsinniger Rad fahren konnte, aber auf einmal war ich der Weltmeister – und das hat mir hier auf Mallorca eine grausame Akzeptanz gebracht.“ Grund genug, als Rennfahrer abzudanken: „Ich bin 15 Jahre lang Rennen gefahren und wollte als amtierender Weltmeister abtreten, weil mir alles zu viel wurde – ich war voll am Anschlag.“ Hürzeler war mittlerweile ein wohlhabender Geschäftsmann, er erzählt – mit seinem typischen Hürzeler-Blick –, wie er der größte T-Shirt-Importeur der Schweiz wurde und wie er dort mehr Trainingsanzüge als Adidas verkauft habe. „Verstehsch?“
Weil er, der gelernte Ingenieur, der einst Pumpen für Atomkraftwerke zeichnete, es wagte, ohne ein grausames Wort Englisch zu können, nach Thailand zu reisen, da dort die Produktion von Textilien im Vergleich zu Europa unschlagbar billig war. Sein Geschäftssinn, der Glanz, den ihm der Weltmeistertitel verlieh, und sein herausragendes Talent als Entertainer haben aber auch seine junge Firma im Radreisebusiness schneller wachsen lassen, als er dachte.
Schon im zweiten Jahr hat sich die Teilnehmerzahl auf 440 mehr als verdoppelt, aus dem ersten zweifarbigen Drei-Seiten-Prospekt entwickelten sich schnell Hochglanzkataloge, bis Hürzeler 1995 neben dem Delta ein zweites Hotel ins Programm aufnahm: das Playa de Muro, ein paar Kilometer östlich von Alcudia. 445 Zimmer, mit der Erwartung, 80 Prozent auszulasten. „Das war grausam mutig“, sagt Hürzeler, aber sein Konzept ging auf. Dort, wo damals im März noch alles geschlossen war, zogen auf einmal die Radfahrer ein. Die anfängliche Skepsis des Hoteliers ist in der Frühlingssonne schnell gewichen, zumal das Wetter perfekt mitspielte „Und dann hat er gemerkt, dass Radfahrer dreimal so viel für Getränke ausgeben wie normale Urlauber“, blickt Hürzeler zurück.
Vielleicht war es der klügste Schachzug, in den Norden der Insel zu gehen – denn heute hat sich das Playa de Muro und dessen unmittelbare Umgebung zum Epizentrum für Rennradfahrer entwickelt. Längst bewegt sich die Zahl der Wochengäste dort im vierstelligen Bereich – der Anteil an Stammkunden ist hoch. Einige wenden sich zwar wegen der massentouristischen Tendenzen ab, viele schätzen aber die Schweizer Gründlichkeit, für die Hürzeler trotz des rasanten Wachstums bis ins Detail einsteht. Und auch wenn die Hürzeler-Familie groß, sehr groß geworden ist – der persönliche Kontakt, die Wertschätzung für seine Kunden waren dem Chef von Anfang an wichtig. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. „Unsere Gäste müssen Spaß haben und zufrieden wieder nach Hause gehen“, erklärt er.
Der Garant dafür: Hürzeler selbst. Je mehr Gäste er morgens mit dem Megafon in Gruppen einteilen und auf den Weg schicken kann, je voller der Saal, wenn er beim wöchentlichen Begrüßungs- und Abschiedsabend das Mikrofon in die Hand nimmt, desto mehr ist Hürzeler in seinem Element. Es mag zwar sein, dass er mit seinem bissigen Humor und seinem extrovertierten Naturell dem einen oder anderen mal auf den Schlips tritt, die meisten aber genießen den Moment, in dem sie von Hürzeler auf die Bühne gerufen werden, um ihm die fein säuberlich notierte Kilometerleistung zu präsentieren und das Abschiedsgeschenk, ein Paar Hürzeler-Socken, persönlich überreicht zu bekommen. Der Unterhaltungswert ist phänomenal, und jeder, der Hürzeler „grausam“ erscheint, darf auf den legendären gönnerhaften Satz hoffen: „Kriegsch zwei Paar Sockchen.“
Selbst heute noch, viele Jahre, nachdem er seine Firma an Marcel Iseli und Walter Güntensperger verkauft hat, ist Hürzeler bei jeder einzelnen Sockenparty auf der Bühne mit dabei. Er spielt dort zwar nicht mehr die Hauptrolle, „den dicken Max“, aber er setzt die humoristischen Akzente. Etwa wenn er völlig unvermittelt Moderator Iseli eine Brille aufsetzt, weil der einen Namen auf einer Teilnehmerkarte nicht entziffern kann. „Auch wenn Max die Firma nicht mehr gehört, funktionieren wir als Dreierteam“, beschreibt Iseli die Situation heute. Sie tauschen sich regelmäßig aus, sie schätzen sich, sie entwickeln gemeinsam Ideen und Konzepte, sie haben Spaß – und sie nehmen sich gegenseitig auf den Arm. Gängige Anrede: verkürzte Nachnamen. Hürzi, Günti, Iseli.
Marcel Iseli war früher Bürgermeister in Hürzelers Heimatgemeinde Bad Zurzach und 1989 erstmals als Gast im Delta auf Mallorca. Der Macher Hürzeler erkannte, dass Iseli perfekt war, um ihn zu untersützen. „Den Iseli habe ich gleich zu meinem Generalsekretär gemacht, der hat mir zum Beispiel die Richtlinien für die Guides verfasst und solche Sachen. Der war grausam fleißig.“ Ein Jahr später leitete Iseli bereits die ersten Gruppen und über die Jahre entwickelte sich aus der Partnerschaft eine Freundschaft.
Walter Güntensperger, der damals die Geschäfte des Schweizer Reisekonzerns Hotelplan leitete und deshalb auch schon seit der Anfangszeit mit Hürzeler verbandelt war, schmiedete derweil Pläne, bei Hürzeler einzusteigen, während in Hürzeler der Gedanke reifte, seine Firma zu verkaufen. „Ich habe zwar viel Geld verdient, aber ich musste auch viele Jahre sehr hart dafür arbeiten“, bilanziert Hürzeler: „Ich wollte nicht so weitermachen und einen Herzinfarkt kriegen.“ Seit 1. Januar 2005 trägt Hürzelers Firma nur noch seinen Namen, aber sie gehört ihm nicht mehr. Drei Jahre lang, so war die Abmachung, blieb er noch im operativen Geschäft, seither regiert er nur noch im Hintergrund.
Hört man sich in der Firma um, so kriegt man erzählt, dass dem Hürzi eine Aufgabe fehle, er unterfordet sei, weil er immer noch präsent ist, sich einmischt. Für Hürzeler selbst stellt es sich so dar: „Mein Ziel war immer, unabhängig zu sein – ich habe ein schönes Leben“, beschreibt er zufrieden seine Situation heute. Anders als der Günti und der Iseli, die sich um den ganzen Schrift-, E-Mail- und Kommunikationskram kümmern müssten. Und trotzdem beobachtet er mit Wohlwollen, wie sich die beiden um die Firma kümmern, sie weiterentwickeln. „Sie haben die Fähigkeit zu delegieren, während ich immer alles selbst machen wollte.“ Er schätzt es, von Güntensperger und Iseli um seine Meinung gefragt zu werden und tut auch ungefragt seine Meinung kund. Insbesondere beim Thema Hürzeler-Radsport-Bekleidung, um das er sich nach wie vor federführend kümmert. Aber er sagt auch: „Ich akzeptiere, dass ich nicht mehr das letzte Wort habe.“
Wer Hürzeler heute trifft, erlebt einen Menschen, der vermittelt, sein Leben genießen zu können. Er steigt immer noch regelmäßig aufs Rennrad, aber selten vor zwölf Uhr mittags und nie bei schlechtem Wetter. Am Berg lässt er gerne andere vorfahren, „weil die dann zufrieden sind, dass sie den Hürzi versägt haben“. Und über seine eigene Leistung sagt er selbstironisch. „Früher Champion, heute Lampion.“ Dass einzige, was dem Eindruck, er ruhe in sich selbst, vehement entgegensteht, ist sein lautes Temperament. Wenn der König über seine Insel radelt, dann lässt er sein Volk daran teilhaben. Grüßt jeden, verwickelt die Leute in Gespräche, immer einen typischen Hürzi-Spruch auf den Lippen. Und er weiß, wie er trotz suboptimaler Form die Luft dazu hat. In die Führung geht er nur bei Rückenwind und erklärt am Ende der Ausfahrt stolz: „Ich bin Steher – ohne Schweiß zum Sieg. Verstehsch?“
Beim Rückblick auf seine bewegte Karriere wirkt Max Hürzeler dagegen fast schon sentimental. Der Blick auf die vielen alten Fotos und Dokumente wühlt ihn auf. Wie endlich sein Traum vom Weltmeistertitel wahr wurde. Und dass sein Schrittmacher Ueli Luginbühl nicht mehr unter den Lebenden weilt. Wie alles anfing, damals im Delta mit einer kleinen Garage als Radkeller, in dem die ersten Hürzeler-Räder von Radsport Gerber hingen. Wie verheerend die Straßen damals aussahen und dass sie ein Besenfahrrad hatten, dessen Fahrer Scherben und Dreck von den Straßen kehrte. Und wie sie 2001 einfach Straßen blockierten, um zu demonstrieren und Hürzeler Angst hatte, deshalb eingelocht zu werden. Und wie sie anfingen, von Mallorca mit Fähre und Fahrrad nach Hause zu fahren und sich daraus die Fernfahrten entwickelten, mit denen sie heute die Welt erkunden. Und was sich alles daraus noch ergeben hat.
Dass sie mittlerweile 70 Räder pro Stunde vermieten, „das ist zwischen Vertragsunterzeichnung und Radausgabe weniger als eine Minute. Verstehsch?“ Und plötzlich ist es wieder da, das majestätische Selbstbewusstsein von Max Hürzeler. „Die Wertschöpfungskette für Mallorca ist enorm“, sagt er. Und er weiß ganz genau, wie groß sein Anteil daran ist. Max Hürzeler ist stolz auf das, was er erreicht hat – und was die Rennrad-Welt mit ihm assoziiert. Mit demjenigen, der sich selbst nur allzu gern als „König von Mallorca“ bezeichnet. Und deswegen war eigentlich von Beginn an klar, dass er sich in das Königsgewand verlieben würde. Als der Fotograf es einpackt, sagt Hürzeler: „Du, das isch grausam. Das kannsch eigentlich auch dalassen.“
Das Porträt wurde im Magazin ROADBIKE, Ausgabe 7/2014, veröffentlicht.