Herr Kelly, wo gehen Sie mehr ans Limit? Bei Extremsportabenteuern oder jetzt, wenn Sie nach langer Zeit wieder mit der Kelly Family auf Tour gehen?
Die Outdoor-Geschichten sind mein Hobby. Da tanke ich. Ich komme zurück, jetzt zum Beispiel gerade vom Amazonas, und ich fühle mich einfach voll mit Energie. Ich gehe zwar körperlich oft über die Grenze, aber das gibt mir so viel für den Körper, für den Kopf zurück, dass ich danach mein Tagesgeschäft wieder bewältigen kann. Musik selbst ist gar nicht so stressig. Wir haben mit der Kelly Family erst vor über einem Jahr wieder angefangen. Ich habe davor knapp zehn Jahre keine Musik gemacht und hatte eigentlich damit abgeschlossen. Aber dann hat das so eine Dynamik bekommen. Es sind genügend Kellys zusammengekommen, sodass wir als Kelly Family wieder auf Tour gehen. Und jetzt läuft das Ding ein bisschen. Aber viel Arbeit ist es nicht. Ich habe mich selbst gewundert, dass man zehn Jahre keine Musik macht, aber sofort wieder reinkommt. Die Kelly Family hat vor über 40 Jahren angefangen, davon professionell zu leben. Da bist du als kleines Kind mit aufgewachsen, hast musiziert, dann ist es unter der Haut.
Wie kommt es, dass Sie nie Solo-Musik gemacht haben? Viele Ihrer Abenteuer waren ja zwangsläufig Solos. Wenn Sie etwa beim Badwater-Marathon durch die Wüste laufen, sind Sie ja alleine, oder?
Ja, das stimmt. Aber da gibt es einen Unterschied. Wenn du Solo-Musik machst und du musst davon leben, dann musst du dich verkaufen. Aber ich will Leuten nicht gefallen, ich will nicht auf der Bühne unterhalten. Mit der Kelly Family ist das was anderes. Da unterhalte ich mich mit meinen Geschwistern. Und die Leute sind dabei und finden das gut. Zusammen spielt man ein Konzert, das ist Wahnsinn. Aber wenn ich als Solo-Künstler zwei Stunden da vorne stehen und die Menschen begeistern müsste – ich weiß nicht, ob ich das Talent dazu hätte. Es ist nicht meine Berufung. Und ich glaube nicht, dass irgendjemand die Solo-Musik von Joey Kelly braucht. Ich hätte nur Interesse, ein Projekt zu machen, nämlich eine Heavy-Metal- Band. Aber nicht, um Geld zu verdienen. Nur aus Spaß an der Freude. Weil ich gerne Rock, gerne Heavy Metal höre. Ich könnte mir vorstellen, ich mache „Best of Kelly Songs“, aber als Heavy-Metal-Versionen. Und vielleicht gibt es dann Gitter vor uns und die Leute können uns beschmeißen. All die Klischees halt. Und mein Ziel wäre wirklich, in Wacken zu spielen.
Aber gehört beim Sport nicht die Anerkennung dazu? Klar macht man das auch für sich, aber es ist doch cool, wenn einem die Leute dann auf die Schultern klopfen … Ist das auch Ihr Antrieb?
Nein, nicht mehr. Mein Ego ist voll, ich habe eine Frau, vier Kinder, ich habe Arbeit ohne Ende, ich brauche das nicht. Anfangs war das etwas anderes. Ich habe den Sport für mich entdeckt, das war 1996. Da bin ich eingestiegen mit einem Volks-Triathlon. Ich habe das Ding fast nicht geschafft, bin fast gestorben. Ich bin als Drittletzter ins Ziel und habe mir geschworen, ich mache den Scheiß nie wieder. Dann habe ich ein paar Tage später realisiert, dass Ausdauersport ein optimaler Ausgleich zu meinem Beruf als Musiker ist. Dabei hatte ich vorher Kampfsport gemacht. Kampfsport ist super, aber es war schwierig für mich zu trainieren, da ich ständig auf Tour war. Ausdauersport kannst du überall, zu jeder Zeit machen. Morgen Abend zum Beispiel. Da spielen wir in Dresden, ich werde nach dem Konzert aufs Fahrrad steigen und nach Berlin zur Waldbühne fahren. 200 Kilometer, um halb elf abends fahre ich los. Die ersten Jahre war der Sport auch ein Weg, mir selbst etwas zu beweisen – auch weil ich erst 24 Jahre jung war. Bei der Kelly Family waren wir eine große Gruppe. Sind alle erfolgreich geworden, haben alles zusammen erreicht. Ich habe gemerkt, dass es mir gefehlt hat, alleine was zu schaffen. Da hat der Ausdauersport ideal gepasst. Aber meinem Vater hat es nicht gefallen, dass ein Kelly seine eigenen Weg geht. Mein Bruder Jimmy hat das mal auf den Punkt gebracht. Er sagte zu mir, du bist der erste Kelly, der eine Solo-Karriere gemacht hat. Nur eben nicht in der Musik. Aber das Coole daran ist, auch wenn ich das sehr professionell betreibe, dass ich keinen Druck habe, nicht gewinnen muss. Ich muss davon nicht leben, auch wenn ich trotzdem damit Geld verdiene.
Wann haben Sie gemerkt, dass der Ausdauersport und auch die Abenteuer zur Profession wurden?
Ich weiß es nicht, es hat sich vielleicht einfach so ergeben. Ich habe mit dem Volks-Triathlon angefangen, und ein Jahr später war ich schon bei der Langdistanz. Dazwischen bin ich drei Marathons gelaufen. Nach drei Jahren kam dann der erste Sponsor, die Deutsche Post, mit der ich heute noch verbunden bin. Es war reiner Zufall, wie vieles in meinem Leben. Es ergeben sich Möglichkeiten und ich mache was draus. Damals habe ich eine Serie von acht Ironman-Triathlons in einem Jahr bestritten. Der fünfte war in Roth. Und ich hatte früher für die Kelly Family die Konzertplanung organisiert. Meine Geschwister hatten sich immer gewundert, warum wir abends immer in der Stadt spielten, wo ein Marathon war. Ich habe halt unsere Konzerte passend zu meinen Wettkämpfen platziert.
Irgendwann kam ein Anruf von einem großen Konzertveranstalter. München. 70.000 Zuschauer. Michael Jackson and friends. Ein Charity-Konzert, ob wir da spielen könnten. Ich sagte: Klar, aber ich habe vormittags einen Ironman. Also habe ich mit denen um die Uhrzeit gefeilscht. 19:30 Uhr, relativ spät. Beim Rennen habe ich ein Trikot mit Post-Logo getragen für die Stiftung meines Freundes, des Extrem-Ausdauersportlers Hubert Schwarz. Im Gegenzug hat die Post 20.000 Euro für Kinder in Not in Afrika gespendet. Und dann habe ich für den Ironman dreißig Minuten mehr gebraucht als gehofft. Nach dem Zieleinlauf bin ich mit dem Motorrad zum Hubschrauber, dann nach München, auf die Bühne gerannt, keine Zeit zum Umziehen. Also stand ich da vor 70.000 Zuschauern in meinen Laufklamotten und mit Post-Hemd, live bei Sat1. Zwei Tage später rief der Kommunikationsleiter der Post an und bot mir einen Vertrag an. Und die hatten damals Lothar Leder, Nicole Leder, richtige Profis. Ich meine, ich bin ein Drei-Stunden-Marathonläufer, ich laufe keine 2:10. Aber die Post wollte, dass ich Vorträge halte. Zum Beispiel: Wie kann man Marathonlaufen und das Erreichen beruflicher Ziele miteinander vergleichen. Ich dachte: „Ich alleine auf der Bühne? Eine Stunde? Das schaffe ich nicht.“ Dann kamen die ersten Vorträge, und alles nahm seinen Lauf. Letztes Jahr habe ich 276 Vorträge gehalten.
Gab es auch den Drang, aus dem Leben als Kelly auszubrechen? Die Zeiten mit der Kelly Family waren ja nicht immer einfach, speziell zu Ihrem Vater hatten Sie ein teils angespanntes Verhältnis.
Es gab einen Spruch von meinem Vater, wenn eins von uns Kindern etwas anders machte, als er es wollte: Stop this Joeyism! Ich fand das gut. Es zeigte, dass ich Einfluss hatte. Mein Vater wollte immer, dass ich alles so tue, wie er es gerne gehabt hätte. Ich habe dann immer gesagt: Ich mache das, ich übernehme die Verantwortung, aber ich mache das so, wie ich es für richtig halte. Wir haben miteinander viel gestritten, über Wege, wie man was optimiert. Aber dafür hat mich mein Vater, so wie ich ihn liebe, auch geliebt. Er hat gesehen, dass ich kämpfe. Nicht für mein Ego, sondern für uns. Deswegen hat er mir das Unternehmen Kelly Family als Geschäftsführer übertragen. Und jeder, der mich kennt, kann bestätigen, dass die Marathons, die Triathlons, die Wüstenläufe ein Grund dafür waren. Weil mein Vater gesehen hat, dass da einer mit 24 Jahren acht Ironmans in einem Jahr läuft. Ich hatte keinen Background, gar nix, ich habe mich reingekniet. Was brauchst du in deinem Leben, um weiterzukommen? Du brauchst Ausdauer, Ziele, Mut, Leidenschaft. Das brauchst du auch im Marathon. Und im Berufsleben. Die Parallelen sind da.
Sie haben mal gesagt, dass Sie ohne den Sport die Kelly Family nie überlebt hätten. Stimmt das?
Ja, das habe ich so gesagt. Aber der Redakteur hat mich nicht zu Ende zitiert. Ich meinte nicht die Musik, sondern den Beruf, die Geschäftsführung und viele andere Baustellen. Und nur durch den Sport hatte ich die Kraft, das zu stemmen. Mein Vater hatte zum Beispiel ein Schloss gekauft, das kein Mensch brauchte. Das war ein Fass ohne Boden. Ich habe sieben Jahre gebraucht, bis das Ding verkauft war. Das waren Marathons im Leben, die mich geprägt haben. Nur durch den Sport, durch das niemals Aufgeben konnte ich diese Aufgaben bewältigen.
Vielen reicht ein Marathon im Jahr oder ein Langdistanz-Triathlon im Leben. Was war es bei Ihnen, dass es immer mehr hat werden lassen?
Die meisten Marathons, die ich gemacht habe, waren nur Training, Aufbauwettkämpfe für Ultra-Läufe. Ich bin 50 Marathons gelaufen, aber davon nur zehn auf Zeit. Und ich habe acht oder sogar zehn Marathons gebraucht, um die Drei-Stunden-Marke überhaupt zu schaffen. Dafür bin ich hier in einen vernünftigen Verein gegangen, bin dann in Köln 2:54 gelaufen. Zuvor hatte ich immer um Minuten gekämpft, dann ist der Knoten geplatzt, weil das Training zum ersten Mal vernünftig war. Bahn-Training, Lauf-ABC. Aber die eigentliche Motivation fürs Training, für Marathons, ist inzwischen eine andere. Ich komme jetzt gerade vom Amazonas wieder, hatte Herausforderungen, Natur, konnte ein neues Land entdecken. Ich liebe Reisen. Und wenn du das Reisen mit Ausdauersport verbindest, ist das so intensiv. Wenn du mit einem Auto eine Safari machst, wirst du nach ein paar Stunden müde. Aber wenn du mit dem Fahrrad fährst oder läufst, dann saugst du das ein. Klar bist du dann körperlich am Limit, aber es ist eine ganz andere Intensität, so naturverbunden, das ist Wahnsinn.
Was genau haben Sie am Amazonas gemacht?
Ich bin vor zwei Jahren mit Till Lindemann, dem Sänger von Rammstein, den Yukon runtergepaddelt. Runter von Kanada nach Alaska. Mit einem klassischen kanadischen Kajak, alles outdoor, alles autark. Jetzt haben wir den Amazonas gemacht, von der peruanischen Grenze nach Kolumbien und weiter nach Brasilien Richtung Manaus. In zwei Jahren planen wir Afrika, Blauer Nil. Und dann in zwei oder drei Jahren den nächsten Fluss, insgesamt sollen es fünf werden. Die Big Five.
Wo kommen die Ideen für solche Abenteuer her? Oder sind das Aufträge von Sponsoren?
Nein, das sind keine Sponsoren-Ideen. Es gibt natürlich Sponsoren-Wettkämpfe, also von meinen Partnern. Wie dieses oder letztes Jahr den Marathon in Frankfurt. Da gab es zwei Gewinner, die ich begleitet habe. Oder jetzt kommt eine Reise nach Namibia. Fünf Gewinner. Aber das ist für mich bezahlter Urlaub. Wir laufen einen Halb-Marathon, dann radeln wir vier Stunden, dann geht es durch die Dünen, dann Surfen, dann Kajak. Aber die ganzen Abenteuergeschichten, das sind eigene Ideen. Okay, es gibt auch welche, die ich klaue. Einfach nachmache. Zum Beispiel den Deutschlandlauf. Den habe ich letztes Jahr zum zweiten Mal gemacht. Zum ersten Mal vor sieben Jahren, da bin ich von Wilhelmshaven zur Zugspitze. Ohne Essen mitzunehmen, ohne Geld, ganz alleine. Das war angeknüpft an eine Idee von Rüdiger Nehberg, Survival-Abenteurer, total verrückter, cooler Typ. Der ist damals von Hamburg nach Oberstdorf marschiert und hat sich nur von der Natur ernährt.
Weil ich ein bisschen in Bildern denke, habe ich das auf Nordsee–Zugspitze erweitert. Dann bist du da oben am Kreuz, da haben einfach die Emotionen mehr Wert. Du stehst nicht nur an einem Ortsschild, sondern ganz oben. Nach sechs Stunden, die du brauchst, um vom Höllental hochzusteigen – Schritt für Schritt, Meter für Meter – und du siehst nach oben: Da ist mein Ziel, da bin ich gleich, dann habe ich es hinter mir, dann kann ich endlich was Normales zu essen kaufen. Das ist geil! Für den zweiten Deutschlandlauf gab es einen Aufruf bei Stern TV. Das war quasi im Rahmen einer Serie. Vor drei Jahren hatten wir einen Lauf in Namibia über 441 Kilometer, vor zwei Jahren Tansania, 300 Kilometer. Also dachten alle, die sich bewerben, wir fliegen wieder weg, exotisch und schön. Treffpunkt war in Berlin am Flughafen. Zehn Leute. Ich sagte, wir steigen jetzt in den Bus nach Travemünde, wir machen dieses Jahr den Deutschlandlauf. Und alle dachten: Scheiße. Aber trotzdem sind drei durchgekommen. Beim ersten Mal habe ich für den Lauf übrigens 17 Tage und 23 Stunden gebraucht, 15 Kilo dabei abgenommen. Beim zweiten Mal war ich nicht so fit, aber mein Ziel war dennoch, schneller zu sein. Durch Erfahrung. Und wir waren tatsächlich zwei Tage früher am Ziel. In den letzten zwei Tagen haben wir nur noch in Summe drei Stunden und zehn Minuten gepennt, sind dafür 200 Kilometer marschiert.
Planen Sie solche asketischen Märsche weiterhin?
Klar, und das darf auch jeder wissen. Am 8. 8. übernächsten Jahres starte ich in München. 8 Uhr am Marienplatz, ich gehe nach Venedig. Jeder kann mitkommen, auf eigene Gefahr, und es kostet kein Geld, kein Kommerz. Die genaue Route weiß ich noch nicht. Aber es werden drei Länder, über die Alpen, 500 Kilometer. Und wieder der Aspekt: kein Essen. Das wird gar nicht so einfach, denn in den Bergen findest du nicht so viel Essen. Ich habe den Deutschlandlauf immer im September gemacht. Da gibt es Äpfel, Pflaumen …
Und es gab da beim ersten Lauf eine Geschichte mit einem toten Hasen…
Ja, an Tag zehn war das. Der Hase war wirklich frisch, maximal eine Stunde vorher überfahren worden. Ich bin kein Jäger, aber hier bei mir ist das Jagdgebiet eines Freundes von mir. Dem helfe ich beim Ausmachen, ich habe da also ein Auge für. Und deshalb habe ich den Hasen klar gemacht und gegrillt. Du findest auf deutschen Straßen weniger als in anderen Ländern. Weniger Müll wie Papier oder Folien, aber du findest dennoch genug. Am schlimmsten sind die Red-Bull-Trinker. Und die „Macies“. Die schmeißen alles aus dem Fenster raus. Aber das ist natürlich alles nicht viel, wenn du am Tag im Durchschnitt 50, 60 Kilometer marschierst und zumindest am Anfang zehn Kilo trägst.
Was gibt Ihnen diese auferlegte Reduzierung? Sie leben ja sonst sicher im materiellen Wohlstand.
Ich finde das einfach genial. Mit viel Geld kannst du viele Sachen machen. Aber mit wenig Geld was Cooles machen, das hat was. Die Leute sagen mir immer: Ich würde auch gerne ein Abenteuer erleben. Und ich antworte: Ja, mach einfach, tu. Oder komm mit. München–Venedig. Kostet kein Geld. Wir ernähren uns nur aus der Natur. Oder wir hungern einfach. Wir nehmen an den zehn, zwölf Tagen jeder zehn Kilo ab. Die ersten Tage leidest du wie ein Hund, bist unter Entzug, hast Kopfschmerzen, du zweifelst, du frierst, weil dein Körper keinen Treibstoff erhält. Aber dann kommt die Energie. Ab dem vierten Tag merkst du, wow, dein Körper schafft es auf einmal, Fett in Energie umzuwandeln. Für meine nächste Idee habe ich mir jetzt einen VW Bulli, einen T1, gekauft, Baujahr 1966. Ich mag alte Autos, aber bezahlbare, keine Ferraris. Die mag ich auch, würde ich aber nie kaufen. Der T1 ist ein Scheunenfund, total verrostet. Und das bleibt der auch, weil ich für die Tour Mitleid brauche. Nur Motor, Getriebe und Unterbau kommen neu. Ich beginne nächsten Juni in Berlin. Es geht über Prag, Wien, Budapest, Bukarest, Sofia, Istanbul, dann hoch über Georgien, Kasachstan, Russland, Sibirien, Mongolei. Ziel Peking. 15 000 Kilometer. Und ich starte ohne Geld, ohne Essen, ohne Sprit. Sich den Weg zu erkämpfen, das ist die Challenge. Das hat mit Ausdauersport nichts zu tun, aber ich werde in den sechs bis acht Wochen auch zehn Kilo abnehmen. Ich werde hungern, ich werde rennen, um Hilfe zu suchen.
Und da erkennt Sie dann auch niemand …
In Berlin noch, aber ab der Grenze keine Sau, da ist dann Niemandsland für mich. Ich habe so eine Tour schon einmal gemacht. In den USA, von Los Angeles nach New York. Auch ohne Geld, ohne Essen. Ich musste mir dann überlegen, wie ich die Menschen überzeuge, mir zu helfen. Ich habe Kleeblätter gepflückt, sie in Folie gelegt und ein viertes Blatt dazugeklebt. Ich habe die Leute dann angesprochen: Wenn ihr mir helft, dann schenke ich euch ein Glücks-Kleeblatt. Und wenn ihr mich unterstützt mit Geld, mit Nahrung, mit einem Schlafplatz, mit Transport, dann schicke ich euch nach der Tour ein Buch über den Trip, und ich verspreche euch, eure Namen sind drin. Und das ist so was von aufgegangen! Bei der Amerika-Tour waren alle Verkehrsmittel erlaubt, mal bin ich auf einem Lkw mitgefahren, dann habe ich mir ein altes Fahrrad gekauft. Hat mich 80 Dollar gekostet. 60 Dollar das Rad, 20 Dollar für neue Schläuche und eine Pumpe. Damit bin ich 1400 Kilometer gefahren, das hatte nur drei Gänge. Dann bin ich mit dem Greyhound-Bus gefahren, dann habe ich mir ein Auto gekauft und wieder verkauft. Ich habe mir sogar Zeit gelassen, ich hatte null Druck, das Ding lief wie Hölle. Ich hatte durch die Kleeblätter in den ersten Tagen 1700, 1800 Dollar verdient. Und ich brauchte gar nicht viel. Ich habe mich von Konserven ernährt, Ravioli. Die gibt es für 49 Cent. Wenn du dir da am Tag fünf Stück von reinhaust, bist du voll. Wasser gibt es überall umsonst. Schlafen kostet auch kein Geld, weil ich überall schlafen kann. Unter der Brücke, egal wo. Auch die Asien-Tour wird cool. Ich nehme meinen Sohn mit, der ist jetzt 18 Jahre alt, damit wir uns beim Fahren abwechseln können. Stern TV begleitet es, aber die dürfen natürlich nur versteckt filmen und nicht helfen. Daher bin ich nervös, quer durch Sibirien, wo ewig nix kommt … Aber zur Not kann ich ja jederzeit das Auto verkaufen und zu Fuß weitergehen.
Wie groß ist da die Versuchung, doch die Kreditkarte zu zücken oder in den TV-Bus zu springen?
Gar nicht. Die Spielregeln werden eingehalten. Wenn ich nicht mehr kann, dann bin ich erwachsen genug zu sagen, okay, ich habe es nicht geschafft. Auch wenn es so weit noch nie gekommen ist. Aber wenn es mal so weit ist, dass ich nicht mehr kann, dann breche ich ab. Reinhold Messner lebt, weil er Besteigungen auch abgebrochen hat. Weil das Wetter nicht passte, weil er sich nicht gut gefühlt hat.
Als Sie mit den Triathlons und den Ultra-Läufen anfingen: War es nicht schwer für Sie, als Joey Kelly in diese fast elitäre Szene reinzukommen?
Es war nicht schwierig, weil es mir egal war, was Leute denken. Wenn du als Kelly aufgewachsen bist, bist du daran gewöhnt. Wir sind schon vor unserem Erfolg auf der Straße beschimpft und als Scheiße behandelt worden, weil wir anders waren, weil wir anders aussahen, weil wir gesungen haben, weil wir Ausländer waren. Ich war dabei nie so sensibel wie meine Geschwister, mir ist das am Arsch vorbeigegangen. Dann kam der Erfolg, da gab es nur dafür oder dagegen, kein dazwischen. Wir wurden geliebt oder gehasst. Das haben wir übrigens heute nicht mehr. Seit unserem Comeback gab es keine negative Schlagzeile. Ich glaube ja, dass die ganzen Kelly-Hasser inzwischen Kelly-Fans geheiratet haben … Aber zur Frage: Klar, wurde ich am Anfang belächelt. Bei meinem ersten Triathlon, der war über die olympische Distanz, bin ich voll motiviert ins Wasser – und musste mich nach 100 Metern an einer Boje festhalten. Ich bin ans Ufer zurück, dann doch wieder ins Wasser. Als Drittletzter oder so kam ich ins Ziel. Die Zuschauer haben geguckt und sich kaputtgelacht. Hätte ich wahrscheinlich auch. So nach dem Motto: Jetzt singt der nicht nur scheiße, jetzt ist er sportlich auch noch ein Vollidiot.
Acht Wochen später bin ich dann bei einem Kurzdistanz-Triathlon gestartet, da waren, was ich nicht wusste, gleichzeitig Deutsche Meisterschaften. Das Feld war sofort weg. Auf der Laufstrecke war ich Letzter, da kam mir einer auf seinem Rad entgegen. Fertig umgezogen, mit Gepäck und rief mir zu: „Kelly, Ziel ist zu. Kannst nach Hause.“ Da dachte ich schon, na warte, irgendwann sehen wir uns wieder. Und dann kamen die Marathons, 3:52, 3:30, 3:17. Spätestens als ich dann im kommenden Jahr in Roth ins Ziel lief, war der Respekt da. Da rief der Stadionsprecher: „Wer dachte, dass das ein Promotion-Gag war, als Joey Kelly vor einem Jahr bei einem Volks-Triathlon startete – hier finisht er gerade seinen fünften Ironman!“ Aber ich glaube eh, dass jeder, der einen Marathon läuft, einen Ironman, ein 24-Stunden-Rennen mit dem Mountainbike oder einen Ultra-Lauf finisht, sowohl für den Ersten als auch für den Letzten Respekt hat.
Gab es mal Momente, wo Sie über dem Limit waren? Wo Sie später dachten, das war knapp?
Es gab eine ganze Reihe von Wettkämpfen, in denen ich meine Kraft nicht richtig eingeteilt habe. Vor über zehn Jahren habe ich etwa in der Nähe von Manaus am Amazonas einen Lauf über 220 Kilometer gemacht. 30 Grad heiß, über 80 Prozent Luftfeuchtigkeit, mies organisiert. An jeder Verpfle- gungsstelle, wenn man sie überhaupt gefunden hat, nur begrenztes Wasser. Und da bin ich bei der vorletzten Etappe nach 50 von 70 Kilometern geplatzt, dehydriert und am Checkpoint fast kollabiert. Da wollte man mich eigentlich aus dem Rennen rausnehmen. Ich habe mir dann in drei Stunden drei Liter Kochsalzlösung reingestopft, für Infusionen war die Infektionsgefahr zu hoch. Irgendwann konnte ich aufstehen und bin dann die letzten 20 Kilometer durch die Nacht, alleine durch den Dschungel marschiert. Was lebensgefährlich war. Und so gab es einige Wettkämpfe, wo ich explodiert bin …
… aber nie aufgegeben haben?
Nein, nie. Aber ich kann nur sagen, dass das zu mir passt. Und ich kann es verstehen, wenn Sportler entscheiden, ich kann nicht mehr, ich höre jetzt auf, ich mache mich körperlich kaputt. Ich brauche das Ankommen ein bisschen, aber ich respektiere, wenn andere sagen: Ich muss heute nicht ins Ziel kommen, ich laufe dann halt in vier Wochen besser.
Ist also das reine Ankommen Ihre Motivation? Ums Gewinnen geht es Ihnen vermutlich weniger, oder?
Ich bin kein Profisportler, zumal es im Ultra-Bereich ohnehin keine gibt. Ich habe zwar Sponsoren, aber nur weil ich einen Namen habe. Dennoch, ist es richtig, in erster Linie ist es mein Ziel anzukommen. Und dafür gehe ich an mein körperliches Limit. Aber das geht ja jeder. Wenn ich in Form bin, kann ich einen Marathon in drei Stunden laufen. Und wenn du das kannst, kommst du bei einem Ultra in die Top Zehn. Weil es da dann auf Erfahrung ankommt. Und die habe ich. Libyen, 200 Kilometer nonstop Orientierungslauf, da bin ich Siebter geworden. Wüste Gobi, 250 Kilometer, bin ich als Vierter rein. Atacama-Wüste in Chile, auch Vierter über 250 Kilometer. Immer so von hundert oder mehr Teilnehmern. Das ist dann schon ein Mega-Gefühl, wenn du in Libyen als Siebter von 180 Teilnehmern reinkommst – und die Letzten kommen erst zwei, drei Tage später ins Ziel.
Können Sie sich denn auf so ein Ziel vorher richtig fokussieren? Also nach Plan trainieren, die Nahrung anpassen, aufs Gewicht achten?
Früher ja, heute weniger wegen meiner normalen Arbeit, der Zusammenarbeit mit Firmen, der Vorträge. Und ich leite mit einem kleinen Team ein Bauunternehmen, das hat sich im Prinzip auch aus der Geschäftsführung der Kelly Family entwickelt. Die Musik kommt natürlich mittlerweile auch wieder on top. Das konsequente Training leidet darun- ter. Aber wenn ich wirklich wollte, dann könnte ich. Dann würde ich weniger schlafen, weniger essen, mehr trainieren, dann wäre ich wieder schneller. Aber wenn ich jetzt den Amazonas runterpaddele, dann ist das egal, ob ich acht Kilo mehr habe. Beim letzten Deutschlandlauf war ich trotz wenig Fitness ja auch schneller im Ziel. Durch mehr Erfahrung, durch die Fähigkeit, mich mehr quälen zu können.
Apropos Qual: Was war denn in all der Zeit das Extremste, was Sie gemacht haben?
Ich weiß es nicht. Im Ultra-Bereich war der Badwater-Marathon bei Weitem das Härteste. Wegen der unmenschlichen Hitze. 50 Grad im Schatten. Es gibt aber keinen Schatten. Du läufst da durchs Death Valley, und dann geht es die letzten 17 Kilometer hoch, bis 14 Prozent Steigung, du hast aber schon 200 Kilometer hinter dir. Aber Badwater mache ich noch mal! Beim ersten Mal war ich nach 55 Stunden und 8 Minuten im Ziel, beim zweiten Mal nach 43 Stunden und 22 Minuten. Und irgendwann in den nächsten Jahren würde ich den Badwater gerne unter 40 Stunden laufen. Ein anderes krasses Erlebnis war der Mauerweglauf in Berlin. Du läufst 100 Meilen, teils mitten durch den Stadtverkehr. Da stehst du an der Ampel, musst warten und neben dir stehen die Leute mit Einkaufstüten und gucken dich an. Keiner weiß, dass dort 400 Leute ein Rennen machen. Da bin ich vor zwei Jahren geplatzt, da habe ich bei Kilometer 119 nur noch gekotzt. Ich weiß bis heute nicht, was ich falsch gemacht hatte.
Viele Extremsportler, aber auch Abenteurer empfinden nach dem Erreichen ihres großen Ziels oft erstmal nichts. Kennen Sie das Gefühl auch?
Ich kenne das. Zum Beispiel beim Deutschlandlauf. Du kommst ins Ziel nach 17 Tagen. Vielleicht heulst du vor Entlastung, weil du jetzt nicht mehr leiden musst. Aber du kannst den Moment noch nicht genießen, du bist einfach nur froh, weil es vorbei ist, machst zwei Fotos, packst deine Sachen und fährst nach Hause. Dennoch, von diesen Momenten ernähre ich mich. Wenn ich später daran denke, wenn ich das Bild vor mir sehe, wie ich ins Ziel komme, dann kriege ich Gänsehaut. Dann weiß ich, es ist es wert, sich Ziele zu setzen nur für diesen einen Moment, wenn du reinkommst und denkst: Ich habe es geschafft. Ich bin über meine persönlichen Limits gekommen. Ich habe aber keine echten Leeren. Warum? Weil ich immer schon zwei Jahre im voraus alles gebucht habe. Das heißt, wenn ich ein Ziel erreicht habe, dann freue ich mich auf zehn Tage ohne Sport, aber dann geht es schon wieder los. Jetzt komme ich vom Amazonas zurück und brauch kein Krafttraining mehr, muss keine Situps oder Pushups mehr machen, um mit Till beim Paddeln ein bisschen mitzuhalten, weil der so eine Kante ist. Jetzt gucke ich, dass ich in drei Wochen um fünf, sechs Kilo runterkomme, damit ich für das kommende Namibia-Projekt etwas leichter bin und mit den fünf anderen Teilnehmern mithalten kann.
Geht es bei Ihren Projekten und Wettkämpfen immer um Ausdauer oder auch um Mut, um Thrill?
Ich denke, für jede Herausforderung braucht jeder Mut. Aber Mut ist wie Angst. Und ich habe auch oft Angst. Angst ist ein gutes Mittel, Angst schützt vor Gefahr. Auch vor vergleichsweise harmlosen Dingen habe ich Angst. Ich mache jedes Jahr einen 24-Stunden-Spendenmarathon, jetzt schon zum 13. Mal. Da können sich Sponsoren einkaufen, das Geld geht komplett an eine Stiftung. Vor zwei Jahren waren es 733 000 Euro, die Leute, die mir helfen, und ich bekommen nix davon. Ich bin schon 24 Stunden gegen eine Rolltreppe gelaufen oder auf einem Hochseil oder im Todesrad, auf dem Spinner. Oder 24 Stunden auf dem Laufband. Das ist so schlimm. Das tut so weh an den Gelenken, das ist immer derselbe Tritt, immer dieselbe Fußstelle. Du stehst in deinem Schweiß. Dieses Jahr machen wir einen Parcours von 800 Metern mit acht Hindernissen. Ich werde versuchen, so viele Runden wie möglich zu schaffen. Bislang ist es jedes Mal gelungen, dass ich durchgehalten habe. Aber so was macht mir auch jedes Jahr Angst.
Neben all den Abenteuern, die vielleicht manchmal gar nicht publik wurden, sind Sie extrem öffentlich aufgetreten. Stichwort Stefan Raab.
Ja, die Raab-Geschichten liefen 13 Jahre lang. Es waren 48 Events, bei denen ich dabei war. Alle Wok-Weltmeisterschaften, alle Turmspringen, alle Stockcar-Rennen und so weiter. Dazu kam drei Mal Stars in der Manege. Das war ernst, wie das Fahren mit dem Motorrad in einer Stahlkugel, dafür habe ich ein dreiviertel Jahr trainiert. Ich habe das als Plattform genutzt, um mich zu präsentieren. Aber die Raab-Events waren auch Wettkampf. Das Interessante dabei ist, dass du da Promis hast, die im Dschungel waren, aber auch Profis. Wie der Hackl Schorsch, der bei der Wok-WM immer dabei war, oder Felix Loch die letzten Jahre. Da kommt eine Handvoll Olympiasieger zusammen. Beim Stockcar Timo Schneider und andere DTM-Fahrer. Beim Turmspringen Turner wie Fabian Hambüchen. Aber mein Ziel dabei war immer klar: zu gewinnen. Oder zumindest, vor Stefan zu landen. Zwischen Stefan und mir hat sich so ein Kampf entwickelt. Das hat sich hochgeschaukelt, irgendwann hat Stefan gesagt: Joey Kelly ist mein größter Rivale. Das hat mich geehrt, weil Stefan Raab auch ein Kämpfer ist. Der wird sportlich unterschätzt, obwohl er als Jugendlicher über 1,80 Meter hoch gesprungen ist. Für mich war das immer eine Herausforderung. Ich habe mir selbst Stockcars gebaut, für jedes Event trainiert, der Aufwand war riesig!
Aber ich habe bei allen Wettbewerben mehrmals gewonnen oder war im- mer vorne dabei. Bei der vorletzten Wok-WM hatte ich mir zum Beispiel ein Konzept überlegt, das ging voll auf, ich habe eine Mega-Fahrt gehabt. Und dann stehst du da in Innsbruck ganz oben auf dem Podest, neben dir der Hackl Schorsch und ein Olympiasieger aus Österreich – das ist schon was. Und die Jungs wollten auch siegen! Es gab auch kein Extrageld, wenn du gewonnen hast. Aber eben die Garantie, dass du wieder eingeladen wurdest. Raab und ich kennen uns nicht persönlich, wir sind keine Kumpels, er hat mich nicht eingeladen, weil er mich nett fand. Im Gegenteil, beim Stockcar-Rennen, das war wie Krieg zwischen Stefan und mir. Aber immer mit Respekt. Oder beim Turmspringen: Ich war der Erste, der sich auf zehn Meter getraut hat. Keiner hatte mir das zugetraut, aber ich hatte drei Monate dafür geübt, mit Trainerin, frühmorgens im Agrippa-Bad in Köln. Dennoch, es ist gut, dass es jetzt vorbei ist. Zum Ende wurde es immer langweiliger, auch das Niveau der Teilnehmer sank. Und ich habe jetzt wieder mehr Zeit für andere Dinge. Die coolste Schlagzeile aber, die ich damals gelesen habe, war in irgendeinem Boulevard-Magazin: „Stefan Raab hat aufgehört, ab sofort ist Joey Kelly arbeitslos!“ Ich dachte, von wegen, ab sofort verdiene ich mehr Geld, weil ich bei jedem Raab-Event draufgezahlt habe.
Sie halten Vorträge mit dem Titel „No Limits“. Was ist Ihre Kernbotschaft? Warum kommen die Leute?
Das Motto ist: No Limits, wie schaffe ich mein Ziel? Die Leute kommen nicht zu mir, die sind schon vor Ort, ich werde von Unternehmen gebucht. Öffentliche Vorträge mache ich nur eine Handvoll im Jahr. Bei den Unternehmen sind bekannte dabei, alle Branchen, Finanzdienstleister, Auto- oder Pharmaindustrie, aber auch viele „hidden champions“, die mit 2000 Mitarbeitern Schrauben produzieren. Meine Präsentation ist anpassbar auf alle Unternehmen. Und die Botschaften sind keine, die die Leute nicht kennen. Es ist auch kein Motivationsvortrag. Ich sage immer, man muss sich selbst motivieren, sich selbst ein Ziel setzen. Was ich persönlich mache, ist für die meisten ja eh „too much“. Wenn ich etwas im Laufbereich empfehle, dann einen Halbmarathon, das ist ein gesundes Level. Wer einen Halbmarathon in zwei Stunden laufen kann oder auch in drei Stunden marschieren kann, der hat dann eine körperliche Fitness, die er braucht, um dem Berufsleben nachzugehen. Und wie erreiche ich das? Ganz einfach: machen, starten, jeden zweiten Tag bewegen. Und nach zehn Wochen wird das zur Gewohnheit, wird Teil des Zeitmanagements, und auf einmal habe ich eine ganz andere Energie. Gesundheit ist die Basis für alles. Für den ganzen Erfolg, Business-Erfolg, Privat-Erfolg, alles. Ich erzähle auch über die Kelly Family. Aber über die Zeit, in der wir keinen Erfolg hatten. Und dann kommt das Motto: Glück ist kein Zufall. Nur Menschen, die kämpfen, die nicht im Komfort leben, fordern Glück ein. Auch die Erziehung meiner Eltern ist ein Thema: mehr zu geben als zu nehmen. Wenn du ein Mensch bist, der gibt, der investiert, in dein Team, in deinen Partner, deine Kunden, deine Freunde, wirst du immer wachsen, wirst du immer gewinnen.
Welche Phasen mit der Kelly Family waren für Ihr Leben wichtiger? Die schwierigen oder die erfolgreichen?
Die schwierigen natürlich. Die prägen am meisten. Alleine schon die Kindheit: Wie hat das funktioniert, dass wir mit zehn Leuten in einem Bus – acht Meter lang, Doppelstock, innen drin sehr klein – leben konnten? Wir haben auf der Straße gelebt, waren bettelarm, hatten nix. Das war schon ein Abenteuer. Wir waren alles kleine Kinder, aber wir haben sehr früh angefangen zu arbeiten. Arbeit war das Leitmotiv meines Vaters, Arbeit war unser Leben. Wir haben als Kelly Family nie Urlaub gemacht. Ich habe meinen Vater mal gefragt: Warum machen wir nie Urlaub? Seine Antwort war: Urlaub ist Bourgeoisie! Später, kurz vor dem Durchbruch, haben wir dann schon richtig Geld verdient. Erstens, weil wir gearbeitet haben wie eine Armee, zweitens, weil wir das Geld gehortet haben. Der große Erfolg mit der Familie kam dann, als ich 23 Jahre alt war. Und der Erfolg ist für einen jungen Menschen gefährlich. Wir waren alle zusammen ein Team, man hat aufeinander aufgepasst, trotzdem sind manche abgehoben. Ich behaupte, dass ich nicht abgehoben bin. Warum? Weil ich gelernt habe, fleißig zu sein, und weil ich den Sport hatte. Wer faul ist, ist selber schuld. Faule Menschen sind nicht mein Fall. Wenn du fleißig bist, wirst du was erreichen. Ich habe was erreicht. Ich habe kein Talent, ich brauche kein Talent. Ich habe Disziplin, ich habe Ausdauer, ich habe ein klares Ziel. Und außerdem konnte ich gar nicht abheben – alleine schon deshalb, weil es in der Marathon- und Ironman-Szene keine Kelly-Fans gab.
Sie hatten selber ein eher distanziertes Verhältnis zur Musik der Kelly Family. Sind Sie da jetzt mit 45 Jahren im Reinen mit? Können Sie die Auftritte genießen?
Ich kann, wenn wir etwa übermorgen auf der Waldbühne stehen, die Szenerie, diese Kulisse mittlerweile viel mehr genießen. Weil mein Bruder Angelo jetzt die Arbeit macht. Früher habe ich mich bis fünf Minuten vor der Show mit den Veranstaltern rumgestritten, warum die Nebenkosten so hoch sind, warum dies und das nicht geklappt hat. Da war ich im Kopf immer noch Büro, nicht auf der Bühne. Heute habe ich diese Aufgabe des Managements nicht mehr. Musikalisch ist das Wahnsinn, mit meiner Familie da zu stehen und die Hallen sind voll. Was die Musik selbst angeht: Wir haben 22 CDs produziert, aber es gibt nur eine, die ich privat selber höre. Christmas all year. Die höre ich zu Weihnachten. Immer. Aber der eigentliche Grund ist, dass meine Eltern damals noch gelebt haben. Meine Mutter singt ein bisschen mit, und so höre ich die Stimmen meiner Eltern.
Ist denn heute – seit Sie das Musik machen mehr genießen können – das Gefühl, vor 22.000 Zuschauern auf der Waldbühne zu stehen, vergleichbar mit dem Gefühl, bei einem Ultra-Marathon ins Ziel zu laufen?
Die Waldbühne Berlin ist schon ganz exklusiv, weil es einfach die tollste Kulisse ist. Aber jeder Ultra-Zieleinlauf hat mir mehr gegeben als jedes Konzert. Viel mehr. Du kommst ins Ziel, da wartet keiner auf dich, du hast es ganz alleine geschafft. Ich brauche das Publikum nicht, ich brauche die Bühnen nicht. Ich bin auch bei meinen Vorträgen immer noch oft nervös. Auch das ist immer wieder eine Herausforderung, aber ich brauche die Anerkennung dafür nicht. Wie schon einmal gesagt: Mein Ego ist voll.
Nach all dem Auf und Ab mit der Kelly Family, nach all den selbst auferlegten Strapazen beim Sport, warum genießt Joey Kelly nicht jetzt sein Leben zu Hause und macht einfach mal gar nichts?
Ganz einfach, weil es Spaß macht. Weil Leidenschaft mit Leiden zu tun hat. Und weil es sich immer wieder lohnt. Nächstes Jahr im April will ich den Nordpol-Marathon machen, dann hätte ich Nord- und Südpol. Am liebsten 100 Kilometer, aber das ist schwierig wegen der Eisbären. Dann die Geschichte mit dem VW Bulli. Dann München–Venedig. Der Nil. Und das Race Across America möchte ich noch mal in anderer Konstellation fahren. Da bin ich vier Mal gestartet, zwei Mal im 4er- zwei Mal im 2er-Team. Einzeln noch nie, das würde ich gerade von der Fitness auch nicht schaf- fen. Aber vielleicht mit 50, wenn ich mehr Zeit habe. Ob ich das Limit von zwölf Tagen packe, weiß ich nicht, aber es wäre ein Ziel. Zumindest ist das Rennen das Nonplusultra, solo, zwölf Tage à 400 Kilometer, brutale Hitze, 50 000 Höhenmeter, Gegenwind, das ist einfach gaga. Jedenfalls: Die nächsten zehn Jahre sind voll.
Das Interview wurde veröffentlicht im Magazin LIMITS, Ausgabe 2/2018.