Wundaba! Dort, wo die Straße zum Kap der Guten Hoffnung abzweigt, bieten mindestens 30 Kunsthandwerker ihren Schmuck, ihre Souvenirs, ihre Skulpturen an. „Wo kommt ihr her?“, ruft uns einer zu. „Aaaah – Germany? Wundaba!“ Wir halten an. Mal wieder ungeplant.
Südafrikas Süden ist wahrscheinlich die schönste Rennrad-Region der Welt. Vor allem, wenn es bei uns kalt ist und auf der Südhalbkugel der Sommer regiert. Und vor allem für diejenigen, die unter Rennrad fahren nicht das stupide Abspulen von Kilometern verstehen. Hier gibt es so viel zu erkunden, hier sind die Menschen so unglaublich freundlich, hier gilt es, bei allem Trainingseifer die Langsamkeit zu entdecken, weil der Verzicht auf ungeplante Stopps auf der Rennrad-Tour die reinste Verschwendung wäre. Südafrika? Wundaba!
Profis wissen die Vorzüge der Region um die extrem „gechillte“ Metropole Kapstadt längst zu schätzen. Mike Kluge, dreifacher Querfeldein-Weltmeister, war 1995 das erste Mal in Südafrika – und kommt seither immer wieder. Kein Jetlag, perfekte Trainingsbedingungen, traumhafte Landschaft – easy going. „Oft habe ich in Privatunterkünften gewohnt“, sagt Mike, weshalb er viele Kontakte knüpfen konnte, Freundschaften schloss und das Leben der Einheimischen zu verstehen lernte.
Leben am Kap der Guten Hoffnung erscheint traumhaft. In Camps Bay vor Kapstadts Toren im Café Caprice zum Sonnenuntergang einen Cocktail schlürfen – so ungefähr muss das Ende eines Tages im Garten Eden aussehen. Aber Leben am Kap der guten Hoffnung kann auch grausam sein. Extrem reich und extrem arm treffen hier wahrscheinlich deutlicher aufeinander als irgendwo sonst. Um das Leben der Einheimischen zu verstehen, gehört es deshalb dazu, nicht nur den Sundowner in der hippen Bar zu genießen, sondern auch den Menschen im Township zu begegnen.
Alleine in die Armutsviertel zu gehen, wäre extrem gefährlich – ein Township-Besuch mit einem einheimischen Führer aber ist sicher und extrem aufwühlend. Chris, der schon ewig in Kapstadt lebt, bringt uns ins Township Khayelitsha, das einst für 30.000 Menschen geplant wurde, in dem aber heute 1,5 Millionen leben. Die Verhältnisse sind bedrückend, der Lebensmut, die Freundlichkeit, die leuchtenden Augen vieler Menschen dort trotz der Umstände beeindruckend.
Viele unserer Erlebnisse bleiben den meisten dieser Menschen Zeit ihres Lebens vorenthalten. Kapstadt ist teuer geworden, spätestens seit der Fußball-Weltmeisterschaft 2010. Wer abends ausgeht, muss mit Preisen auf europäischem Niveau rechnen. Dafür gibt’s vielerorts afrikanische Spezialitäten auf dem Teller. Im Africa Café, in Kapstadts City etwa, lässt sich vorzüglich speisen. Springbock, Vogel Strauß oder Krokodil. „Zur Vorspeise haben wir Würmer gegessen“, erzählen wir am nächsten Morgen Paul, einem Einheimischen, stolz von unserer Dschungelcamp-tauglichen Mutprobe. „Typisch Touristen“, entgegnet Paul gelangweilt. „Keiner, der hier lebt, würde freiwillig Würmer essen.“
Die meisten, die hier leben, wissen aber, dass zwischen Stellenbosch und Franschhoek vorzügliche Weine wachsen – und trinken sie deshalb auch. Zugegeben: Eine Weinprobe und eine Rennrad-Tour passen zwar nicht wirklich zusammen, aber das Spier Wine Estate am Ortsrand von Stellenbosch liegt so traumhaft, dass wir einfach anhalten müssen. Mal wieder ungeplant. Wir trinken genau so viel, um noch sicher weiterfahren zu können, aber auch genau so viel, um uns voller Mut von der Zahmheit der Geparden im benachbarten Park persönlich zu überzeugen.
Es ist ohnehin nicht schwer, hier Kontakte mit allerlei Kreaturen zu knüpfen. Wer unter Einsamkeit leidet, findet spätestens in Boulder’s Beach auf der Kap-Halbinsel neue Freunde: Hier leben äußerst gesellige Brillenpinguine. Äußerst gesellige Touristen tummeln sich ein paar Kilometer weiter – am Kap der Guten Hoffnung. Am Ende der Straße erfahren sie, dass die Jahreszahlen auf Mikes Trikot für drei Weltmeistertitel stehen. „Ich war auch mal Weltmeister“, behaupte ich im Scherz. Weil das keiner bezweifelt, werden wir beide zum begehrten Fotomotiv – an dem Punkt, wo Atlantischer und Indischer Ozean aufeinandertreffen.
An jenem Punkt, an dem Südafrika und Italien aufeinandertreffen, starten wir jeden Morgen in den Tag: Bei „Giovanni’s“, in Green Point’s Main Road unweit vom markanten Fußballstadion, gibt es fantastischen Espresso und noch fantastischeres Frühstück. In Flip-Flops, kurzer Hose, T-Shirt und Sonnenbrille schmieden wir Pläne.
Okay, wir lieben es, Rennrad zu fahren. Aber wir lieben es auch, andere Dinge zu tun. Deshalb sind wir nur gut eine Stunde später oben auf dem Tafelberg. Zu Fuß. Die Aussicht: Spektakulär! Das zweite Frühstück: Nicht so gut wie bei „Giovanni’s“, aber nach kräftezehrendem Anstieg wohlverdient. Die Seilbahn bringt uns wieder runter, und wir verbringen einen relaxten Tag in der City. Shoppen an der Waterfront, Souvenirs suchen auf dem Green Market, Straußensteaks essen am Nachmittag, und danach ins Café Mojito. Nicht wegen des Kaffees. „Lass uns zwei Harleys ausleihen und auf Tour gehen“, schlägt Mike vor. Entlang der beeindruckenden Garden Route zum Beispiel Richtung Port Elizabeth. Oder zur Aquila-Farm ins Landesinnere, wo es die großen Wildtiere zu sehen gibt. Oder an der Westküste Richtung Langebaan zu den unglaublich schillernden Sandstränden.
Wir widerstehen den Verlockungen und bleiben dabei, das Land mit dem Rennrad zu erkunden. Zumal ich nur ein paar Tage habe – und zumindest ein wenig die Wintermüdigkeit aus den Beinen treten möchte. Mike bleibt noch etwas länger, weil er weiß, dass eine knappe Woche in Kapstadt viel zu kurz ist. Es gibt hier einfach noch so viel zu entdecken. Ob mit dem Rennrad oder ohne. Südafrika? Wundaba!
Die Reisereportage wurde im Magazin ROADBIKE, Ausgabe 1/2013, veröffentlicht.