Es gibt wahrscheinlich niemanden, der von einem Radurlaub zurückgekommen ist, ohne neue Freunde zu finden. Wenn Gleichgesinnte zusammen Radfahren gehen, gibt es keine Hemmschwellen, keine Berührungsängste. Man duzt sich unter Radsportlern und kommt sehr schnell ins Gespräch. Bei Hürzeler Bicycle Holidays kann es schon mal vorkommen, dass sich unter dem Helm und hinter der Brille ein prominenter Kopf versteckt. Wie zum Beispiel Tony Rominger. Er ist eine lebende Schweizer Radlegende und einer der erfolgreichsten Radsportler der 90er Jahre.

Mit der Gelassenheit eines Champions sitzt er heute auf dem Rad, weiß, dass ein niedrigerer Puls den Erlebnisfaktor in die Höhe schnellen lässt. Aber Tony Rominger fährt regelmäßig – und das seit vielen Jahren schon für Hürzeler Bicycle Holidays. „Vor allem Fernfahrten machen mir eine große Freude“, sagt der Giro d’Italia und dreifache Vuelta-Sieger, „weil sie die schönste Art sind, ein Land kennenzulernen.“ Das Besondere für die Fernfahrt-Teilnehmer: Sie können einem der ganz großen Radsportler sehr nahe kommen. Und das fühlt sich dann ein wenig so an, als würde man mit Franz Beckenbauer Fußball spielen oder mit Boris Becker eine Runde Tennis.

„Ich hatte buchstäblich die Schnauze voll vom Radfahren.“

Aber anders als bei den Fußballern und Tennisspielern, sind Starallüren unter Radsportlern eher selten zu finden. Bei Tony Rominger schon gar nicht. Er strahlt eine große Ruhe aus und versprüht eine riesige Freude, in der Gruppe Rad zu fahren. „Und meistens ist das nicht die schnellste“, sagt Tony.

Dabei hat er einige Zeit gebraucht, um diese Freude wiederzufinden. „Ich hatte buchstäblich die Schnauze voll vom Rennrad“, sagt er rückblickend über die Jahre nach seinem Karriereende. Es war eine in vielerlei Hinsicht außergewöhnliche Karriere – und Tony Rominger hatte immer einen differenzierten Blick auf das Leben als Leistungssportler. Spät hat er, der in seiner Jugend leidenschaftlich Fußball spielte, mit dem Radsport angefangen.

„Ich war schon als Fußballer schnell. Aber auf dem Velo war ich noch schneller.“

Aber sein Talent auf zwei Rädern war im Velo-Club Baar unübersehbar: „Ich war schon als Fußballer schnell. Aber auf dem Velo war ich noch schneller“, sagt er über die Zeit, in der er als Newcomer im heimischen Radclub die besten quasi auf Anhieb hinter sich ließ. Mit 25 Jahren – nach seiner kaufmännischen Ausbildung – wurde Tony Rominger Radprofi, elf Jahre lang fuhr er auf höchstem Niveau, bevor er 1997 bei der Tour de France – in dem Jahr als Jan Ullrich ins Gelbe Trikot stürmte – bereits nach der dritten Etappe nach einem Sturz mit Schlüsselbeinbruch seine Karriere beendete.

Es war schon im Vorfeld klar, dass er die Radschuhe in diesem Jahr an den Nagel hängen wollte – und fürs Podium war er damals auch schon einen Tick zu alt. Aber Tony Rominger, der als Perfektionist gilt, hätte sich mit Sicherheit ein schöneres Karriereende gewünscht. „Es ärgert dich immer in dem Moment, in dem es passiert“, sagt Tony. Rückblickend ist er aber mit sich „absolut im Reinen.“

„Wenn es kühl und regnerisch gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich die Tour de France gegen Indurain gewonnen.“

Auch damit, dass er nie die Tour de France gewinnen konnte. 1993 war er Top-Favorit, im Jahr davor hatte er bereits die Vuelta gewonnen. Aber er, der damals als bester Kletterer der Welt galt und optimale Hebel hatte, kam an Miguel Indurain einfach nicht vorbei. „Indurain mochte die Hitze, wenn es kühl und regnerisch gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich gewonnen“, erklärt Tony, der schließlich als Zweiter mit dem Trikot des besten Bergfahrers in Paris ankam. Damals hat es ihn geärgert. „Aber es ist ja nicht so, dass dir etwas gestohlen wird. Wenn ein anderer stärker ist, muss man das eben anerkennen“, sagt er heute alles andere als unzufrieden über einen Podiumsplatz beim wichtigsten Etappenrennen der Welt.

Insgesamt vier große Rundfahrten hat er gewonnen, war vier Mal Schweizer Radsportler des Jahres, wurde einmal mit dem Vélo d’Or als bester Radsportler der Welt ausgezeichnet, gewann unzählige Rennen – und schlug Indurain gerade dort, wo alles planbar war, äußere Bedingungen nur eine untergeordnete Rolle spielen: auf der Bahn. Perfektionist Rominger nahm Indurain 1994 den Stundenweltrekord ab, fuhr in 60 Minuten zunächst am 22. Oktober 53,832 und nur zwei Wochen später 55,291 Kilometer.

„Den Erfolg zusammen mit dem Team zu genießen – das waren die schönsten Momente.“

Genau in solchen Situationen konnte Tony Rominger große Leidenschaft für diesen Sport versprühen.  „Wenn du etwas erreicht hast und Rennen gewonnen hast und dann am Abend zusammen mit dem Team den Erfolg genießen konntest – das waren die schönsten Momenten“, erzählt Tony Rominger. Und dennoch wusste er, der schon damals ruhig und abgeklärt war, seine Erfolge richtig einzuschätzen. Er wusste um die Entbehrungen und Qualen des Profiradsports und sagte auch mal, dass er all das nur in Kauf nimmt, weil es ihn für den Rest seines Lebens finanziell absichert: „Profiradsportler leben unter einer Glocke – sie bekommen von Vielem, was das Leben ausmacht, gar nichts mit.“

Trotzdem blieb er dem Profizirkus auch nach dem Ende seiner aktiven Karriere treu. Unvergesslich ist die Phase, in der er mit dem legendären Eurosport-Kommentator Klaus Angermann die Tour de France kommentierte – gerade in jener Zeit, als in Deutschland die Jan-Ullrich-Euphorie entflammte. Tony Rominger war aber auch schnell als Manager erfolgreich. Matthias Kessler, Patrick Sinkewitz oder Andreas Klöden hatte er aus dem erfolgreichen Magenta-Team unter seinen Fittichen – und später auch Cadel Evans. „Immerhin bin ich mit ihm dann Tour-de-France-Sieger geworden“, sagt er augenzwinkernd. 

„Der Druck und die Verantwortung im Profizirkus waren riesig.“

Mittlerweile hat er einen Gang zurückgeschaltet, genießt das, was man wohl als gesunde Work-Life-Balance bezeichnen kann. „Der Druck und die Verantwortung im Profizirkus waren riesig“, blickt Tony zurück. Insgesamt habe er die Zeit dennoch genossen, berichtet von einer großen Kameradschaft im Peloton: „Wir haben noch viel miteinander gesprochen, heute wird ja mehr über Social Media kommuniziert.“

Zum Team von Hürzeler Bicycle Holidays gehört Tony Rominger seit 2014. Nachdem sein Fokus zunächst aufs Marketing gerichtet war, leitet er heute die Stationen in Andalusien und Lanzarote – und bereitet sich akribisch auf Fernfahrten vor. Südafrika kennt er aus Trainingszeiten als Profi wie aus seiner Westentasche. Und Amerika liebt er: „Seattle-San Francisco ist meine absolute Lieblingsroute. Das ist landschaftlich ein Traum.“ So kommt Tony guten Jahren auf 10.000 Radkilometer im Jahr.  Hat soviel Spaß im Sattel wie wahrscheinlich noch nie zuvor im Leben. Tony Rominger könnte auch über 20 Jahre nach seinem Karriereende noch so ziemlich allen davon fahren. Heute ist ihm das aber nicht mehr wichtig. Er genießt vielmehr all das, weshalb er einst das Radfahren angefangen hat: „Es ist eine wunderschöne Art der Fortbewegung, man ist viel draußen, kommt gut voran und kann dabei die Landschaft und Natur auf ganz besondere Art und Weise erfahren.“

Mein Porträt über Tony Rominger wurde auf der Website von Hürzeler – Das Radsporterlebnis veröffentlicht.