Warum manche Menschen Pur mögen und andere Iron Maiden, weiß man ja nicht so genau. Geschmäcker sind eben verschieden. Aber ein paar Songs vereinen dann doch irgendwie alle Menschen. Fußball? You’ll never walk alone. Liebeskummer? Yesterday. Weltschmerz? Blowing In the Wind. Und Fahrrad fahren? Bicycle! Bicycle! Bicycle! Jeder denkt dabei sofort an Freddie Mercurys bombastisch-glamouröse Stimme und den Fahrradsong schlechthin: Bicycle Race von Queen.

„Fahrräder haben in der Rockmusik ja eher eine untergeordnete Rolle gespielt, in der es mehr um teure Autos, schnelle Motorräder oder schöne Frauen geht“, sagt Günter Schneidewind, Radiomoderator bei SWR1 und nicht nur dort berühmt als wandelndes Lexikon der Rock- und Popmusik. Wir haben zusammen mit Schneidewind tief in der Geschichte der Musik gegraben und dabei festgestellt, dass es doch deutlich mehr Beachtenswertes zum Thema Fahrrad gibt als das omnipräsente I Want To Ride My Bicycle.

Dass Bicycle Race überhaupt entstanden ist, liegt ohnehin nur an einem Zufall. Queen nahm 1978 gerade das Album Jazz in Montreux auf, als die Tour de France vorbeikam. „Freddie Mercury war ja ein Fan der großen Oper und gewaltiger Arrangements, und es gibt auch einige, die ihm unterstellen, dass er auf Männerbeine in Radlerhosen stand“, erklärt Schneidewind. Jedenfalls hat ihn das Sportereignis dazu bewogen, den Song zu schreiben, der zur Hymne aller Radfahrer wurde. Das Video dazu: 65 nackte Frauen fahren im Wimbledon Greyhound Stadium Rad. Und klingeln alle zusammen in der Mitte des Songs. Was insbesondere die Fahrradhändler freute: In der Folgezeit waren in den Orten, in denen Queen Konzerte gab, die Klingeln restlos ausverkauft.

„Es gibt einige, die Freddie Mercury unterstellen, dass er auf Männerbeine in Radlerhosen stand.“

Günter Schneidewind, SWR1-Musik-Papst

Fat bottomed girls they’ll be riding today, so look out for those beauties oh yeah, heißt es im Text – was letztendlich den Bezug zum Cover der Single, das eine beleibte und nur mit einem Bikini bekleidete radelnde Frau von hinten zeigt, herstellt. Und so wird die B-Seite mit dem Song Fat Bottomed Girls zum Fahrradsong, auch weil dessen Text die Aufforderung erhält: Get on your bikes and ride!

I’ve got a bike you can ride it if you like. Pink Floyds Fahrradsong Bike aus der Feder von Syd Barret befindet sich auf deren Debutalbum The Piper at the Gates of Dawn als letzes Stück. „Man muss diese Zeit miterelebt haben, um das Psychedelische zu lieben, das diesen Song und das ganze Album ausmacht“, sagt Schneidewind. Die großen Erfolge etwa mit The Wall, dem bis heute meistverkauften Doppelalbum aller Zeiten, feierte die Band aber erst, nachdem sie ihre psychedelische Phase beendet hatte.

Nazareth dagegen stürmten mit ihrer Single My White Bicycle die Top 20 der englischen Charts, einer Cover-Version der Band Tomorrow, die die Schotten-Rocker deutlich lauter und härter interpretierten. „Es geht dabei um eine Bewegung, die sich Dutch Provos nannte“, erklärt Schneidewind. „Sie haben weiße Fahrräder in der ganzen Stadt abgestellt, und jeder konnte sie kostenlos benutzen.“ Die anarchistische Gruppe aus Amsterdam hat quasi schon in den 70ern das Prinzip des Bikesharings erfunden, das heute eine Renaissance erfährt, allerdings nicht mehr gratis.

Noch erfolgreicher, nämlich mit Platz 3 der UK-Charts, war 1972 Hawkwind mit dem Song Silver Machine, zu dem Lemmy Kilmister Bass und Gesang beisteuerte. Bei der silbernen Maschine dreht es sich überraschenderweise um nichts anderes als ein Fahrrad. „Silver Machine sollte nur ausdrücken, dass ich ein silbernes Fahrrad habe“, erklärte Songwriter Robert Calvert dazu lapidar. Lemmy flog wegen seiner Drogengeschichten 1975 bei der Band raus – und nannte sein neues musikalisches Projekt nach einem Hawkwind-Song: Motörhead.

Während Silver Machine für die Space-Rocker einer der großen Hits wurde, steht der Bicycle Song der Red Hot Chili Peppers im Schatten der ganz großen Hits der kalifornischen Gute-Laune-Band: How could I forget to mention the bicycle is a good invention. Erschienen ist der Song 2002 als Bonus-Track auf dem Album By the Way. Und die schwedischen Indie-Rocker der Shout Out Louds, die so klingen wie Robert Smith von The Cure in Dur, haben ihren wunderschönen Fahrradsong Bicycle ebenfalls versteckt. Er ist nur auf der Vinylversion ihres Erfolgsalbums Our Ill Wills aus dem Jahr 2007 zu hören.

Deutlich weniger rockig, aber mit ordentlich Resonanz haben sich Katie Melua und Kraftwerk des Themas Fahrrad angenommen. There are nine million bicycles in Beijing. That’s a fact, it’s a thing we can’t deny, like the fact that I will love you ’til I die. „Das ist allerdings nicht mehr als ein simples Liebeslied“, sagt der Moderator zu Meluas Nine Million Bicycles aus der Feder von Mike Batt, der auch für Welthits wie Bright Eyes von Art Garfunkel verantwortlich war. Die aus Georgien stammende Katie Melua eroberte mit dem Song Platz 5 in den britischen Charts. „Die Amerikaner dachten, sie käme aus Georgia, weil sie Georgien nicht kennen“, erzählt Schneidewind, der sowohl die Melodie als auch die „wunderschöne Stimme“ Meluas mag. Und: „Wenn ich das Lied höre, sehe ich den Platz des Himmlischen Friedens nicht voller Panzer, sondern voller Fahrradfahrer.“

„Wenn ich dieses Lied höre, sehe ich den Platz des Himmlischen Friedens voller Fahrräder.“

Günter Schneidewind, SWR1-Moderator

Voller Fahrradfans dagegen war in Düsseldorf 2017 beim Start der Tour de France. Und dort schloss sich der Kreis bei einem furiosen Konzert im Ehrenhof, das die neben den Toten Hosen wohl bekanntesten musikali- schen Lokalmatadore gaben: Kraftwerk. Die Pioniere der elektronischen Musik veröffentlichten bereits 1983 ihre Single Tour de France, die das letzte Stück des gleichnamigen Albums war, das 2003 – dem Jahr der fulminanten Wiederauferstehung Jan Ullrichs im Bianchi-Trikot – erschien und mit dem Kraftwerk das bislang einzige Mal auf Platz eins der deutschen Album-Charts landete.

Die Prinzen haben dennoch wahrscheinlich den bekanntesten Fahrradsong der deutschen Musikgeschichte geschrieben: Mein Fahrrad. Nur Genießer fahren Fahrrad und sind immer schneller da. „Und das stimmt ja auch“, sagt Schneidewind, der erzählt, dass der Manager von Bonnie Tyler einst unbedingt einen Cayenne statt der ihm angebotenen S-Klasse wollte, um zu einem Spiel des VfB Stuttgart zu kommen. Am Ende war’s egal, weil Stuttgart schon damals vom Stau dominiert war. Fahrräder haben es in der deutschsprachigen Musik vielleicht auch deshalb mehr oder weniger politischen Liedermachern angetan.

Fahrradfahrer von Georg Danzer, Radlmare von Ringsgwandl, Kleiner Fratz von Herman van Veen der Die 90er von Rainald Grebe – und neuerdings auch Fahrrad fahr’n von Max Raabe. Eher unpolitisch, aber ein echter Hit wurde der Pushbike Song von den Australiern The Mixtures. „Das war eine Reaktion auf In the Summertime von Mungo Jerry“, erzählt Schneidewind. Und auch mit deutschem Bezug. Der Song ist als Coverversion zu finden auf dem Album Auf Last geht’s los. Der Kapellmeister?

Entschuldigung, aber der Kalauer-Klassiker muss am Ende einfach sein: Ladies first. James Last.

Die Geschichte ist im Magazin karl, Ausgabe 1/2018, erschienen.

Zu den Top-5-Fahrradsongs von Günter Schneidewind und mir geht’s hier.